Dessau von der urkundlichen Ersterwähnung bis 1871
Erste Erwähnung 945. Marktsiedlung „Dissowe“ 1213
Schon im Jahre 945 werden Teile der heutigen Stadt Dessau-Roßlau erstmals urkundlich erwähnt: die im von Slawen bewohnten Gebiet errichteten deutschen Burgwarde Stene und Qiuna (Kühnau). In Dokumenten des 12. Jahrhunderts tauchen weitere im heutigen Stadtgebiet gelegene Territorien auf: der Burgward Kleutsch/Sollnitz und die Siedlung Naundorf (heute ein Teil von Waldersee). Im Zuge der damaligen deutschen Besiedlungs- und Christianisierungspolitik in Richtung Osten entstand auch eine Marktsiedlung, die 1213 erstmals als „Dissowe“ urkundlich erwähnt wird – das Zentrum der heutigen Dessauer Innenstadt. Sie war auf einer vor Hochwasser geschützten Anhöhe angelegt und wurde von einer wichtigen Handelsstraße (heute: Zerbster Straße) durchquert. Schon bald nach Gründung dieser Marktsiedlung waren hier auch eine Muldbrücke, eine Mühle an der Mulde, eine Kirche St. Marien, ein größeres Handelshaus und ein Hospital vorhanden. Mit dem Markplatz als Mittelpunkt entwickelten sich Handel und Gewerbe recht stetig, wobei die Landwirtschaft aber lange Zeit die wichtigste Nahrungsgrundlage blieb. Im Jahre 1228 wird jenes noch recht kleine Dessau „oppidum“ (befestigter Ort, Marktort), 1298 wird es „civitas“ (Stadt) genannt. Für das frühe 14. Jahrhundert werden erstmals Ratmannen und ein Stadtsiegel erwähnt. Ebenfalls im 14. Jahrhundert wurde eine erste Stadtmauer errichtet. Ein mächtiges Feuer legte 1467 fast die ganze Stadt in Schutt und Asche.
Residenz der Fürsten von Anhalt. Johannbau 1530. Stadtordnung 1571
Stadtherren waren die Fürsten von Anhalt. Am Ufer der Mulde befand sich eines der fürstlichen Häuser, das 1341 zur Burg ausgebaut wurde. Seit dem späten 15. Jahrhundert war Dessau Residenz einer eigenen Linie des anhaltischen Fürstenhauses, das seitdem viele Jahrhunderte lang, in manchmal spannungsvoller Wechselbeziehung mit dem städtischen Rat, die Geschicke der Stadt mitbestimmte. Das Fürstenschloss an der Mulde erhielt ab 1530 durch Baumeister Ludwig Binder einen neuen Westflügel, den heute als Museum genutzten „Johannbau“. Fürst Joachim Ernst von Anhalt (1536–1586) ließ um 1580 durch den Baumeister Peter Niuron die Süd- und Ostflügel des Schlosses – ebenfalls eindrucksvolle, heute nicht mehr vorhandene Renaissancebauten – neu errichten. Aus der Regierungszeit dieses Fürsten stammen auch eine Stadtordnung (1571) und eine Polizeiordnung (1578) für Dessau.
Reformation in Dessau 1532
Mit der Berufung von Nikolaus Hausmann (1478/79–1538) zum fürstlichen Hofprediger im Jahre 1532 hielt die Reformation in Dessau Einzug. Martin Luther predigte mehrmals in der Marienkirche. Der als Philippist angegriffene Caspar Peucer (1525–1602), ein Schwiegersohn Philipp Melanchthons, fand in Dessau als Leibarzt und Rat eine neue Wirkungsstätte. Der Pädagoge und Theologe Joachim Greff (um 1510–1552) gestaltete die Reformationsideale in mehreren Schuldramen. Vor allem aber hatten die Lehren Luthers und Melanchthons in Georg III. von Anhalt (1507–1553) eine wichtige Stütze. Der Fürst, der zugleich evangelischer Bischof von Merseburg und Dompropst von Magdeburg war, stand in intensivem Gedankenaustausch mit den Wittenbergern. Bedeutend wurde er auch als Sammler von Lutherbriefen sowie Manuskripten und Druckschriften der Reformatoren. Die auf ihn zurückgehende „Fürst-Georg-Bibliothek“ gehört heute zu den Schätzen der Anhaltischen Landesbücherei Dessau.
Reformierte, lutherische, katholische Gemeinden
Zum Ende des 16. Jahrhunderts wechselte das anhaltische Herrscherhaus vom lutherischen zum reformiert-calvinistischen Bekenntnis. Neben den reformierten Gemeinden blieb eine lutherische Minderheit (mit der in der Neustadt erbauten Johanniskirche als Zentrum) bestehen – beide Strömungen wurden später in der evangelischen „Kirchenunion“ von 1827 zusammengeführt. Am Ende des 17. Jahrhunderts bildete sich wiederum eine kleine katholische Gemeinde.
Wachsende wirtschaftliche und militärische Bedeutung. Dreißigjähriger Krieg, ab 1625
Mit der Anlage der Sandvorstadt ab 1534 und der Muldvorstadt ab 1536 begann Dessau über die ursprünglichen Grenzen hinauszuwachsen. Mit dem Bau der ersten Elbbrücke zwischen Dessau und Roßlau 1583 wuchsen die wirtschaftliche und auch die militärische Bedeutung des Ortes weiter. Ab 1625 geriet die Stadt in die verheerenden Kämpfe des Dreißigjährigen Krieges. In einer Schlacht bei der Elbbrücke siegten im Frühjahr 1626 Wallensteins katholische Truppen über diejenigen des protestantischen Heerführers Ernst von Mansfeld. Dessau wurde in jenen Kriegszeiten mehrfach geplündert, die Brücken über die Elbe und die Mulde zerstört. Die Kriegsleiden warfen die Stadt in ihrer Entwicklung weit zurück. Hinzu kamen – nicht zum ersten Mal – die Pest und andere Seuchen, die viele Opfer forderten. Nach Kriegsende hatte Dessau nur noch etwa 1.500 Einwohner, gegenüber etwa 2.300 im Jahre 1617. Der Chronist Johann Christoph Beckmann schrieb über die verheerenden Folgen der Pest: „An Pest-Zeiten findet sich in Fürst Johan Georgen des I. eigenhändigen Aufsatz/ daß A.1576. allhier ein grosses Sterben gewesen… Ingleichen besagen andere Alte Verzeichnüßen/ daß A.1598 im Monat Julio, Augusto, Sept. und Octobr. diese Seuche in der Stat und insonderheit vor den Thoren 699. Personen weg geraffet. A.1626 hat sie abermahls allhier so wohl als an andern Ohrten in und ausser diesem Fürstenthum umb sich gegriffen/ daß auch Fürst Johann Casimir selbst daran sehre kranck gelegen. Dergleichen auch A. 1682. 83. abermahl“ (Historie des Fürstenthums Anhalt, 1710).
Verbindung Anhalt-Dessau mit Nassau-Oranien: barocke Architektur und Kunst
Nach dem Krieg ging man an den langwierigen Wiederaufbau. Bedeutsam für diesen Abschnitt der Stadtgeschichte wurde Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627–1693), der zugleich als Militär zunächst in schwedischen, dann in kurbrandenburgischen Diensten einigen Ruhm erlangte. Durch seine Ehe mit Henriette Catharina (1637–1708) aus dem bedeutenden Haus Nassau-Oranien konnte das kleine Anhalt-Dessau in wirtschaftlicher, kultureller und dynastischer Hinsicht viel profitieren. Der Große Markt in Dessau, mit angrenzendem Rathaus und markanten Kolonnaden vor der Marienkirche, wie auch die barocke Schlossanlage im nur wenige Kilometer entfernten Oranienbaum, der Witwensitz von Henriette Catharina, waren Meisterstücke holländischer Baukunst. Nicht zuletzt kamen als Erbschaft Henriette Catharinas bedeutende Gemälde der holländischen und flämischen Malerei des frühen 17. Jahrhunderts nach Dessau.
Wirtschaftliche Entwicklung durch Ansiedlungspolitik. Jüdisches Leben in Dessau ab 1672
In der Wirtschaftspolitik dieses bedeutenden Fürstenpaares spielten ins Land geholte Ausländer – Hugenotten, Pfälzer, Schweizer, Böhmen, Italiener – eine wichtige Rolle. Tuchmacher, Tabakspinner, Produzenten von Gold- und Silberwaren oder Glasmacher sorgten für neue wirtschaftliche Erwerbszweige. Auch Juden durften sich – ab 1672 – ansiedeln. Vor allem für Handels- und Geldgeschäfte wurden sie gebraucht. Relativ schnell entstand in der Sandvorstadt eine größere jüdische Gemeinde, die Mitte des 18. Jahrhunderts stattliche 1000 Personen zählte. Der jüdische Hoffaktor Moses Benjamin Wulff (1661–1729) nahm eine herausragende Position in der fürstlichen Akzise-Verwaltung und bei der Etablierung von neuen Manufakturen ein und gründete 1692 die Fürstlich-Anhaltische Land- und Postkutsche. Zugleich beförderte er als Mäzen das kulturelle Leben seiner Glaubensgenossen. Auf seine Initiative entstand 1695 eine bedeutende hebräische Druckerei. In seinem Wohnhaus in der Steinstraße unterhielt er eine Lehranstalt für Talmud-Studierende.
Der „Alte Dessauer“ ab 1698: neue Stadtteile, Deichbau, Kavalierstraße, Schloss Mosigkau
Der 1698 an die Regierung gelangte Sohn von Johann Georg II. und Henriette Catharina, Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau (1676–1747), der „Alte Dessauer“, prägte die Stadtentwicklung ebenfalls nachhaltig. Wie sein Vater war er hoher preußischer Militär. Als absolutistischer Herrscher setzte er die Wirtschaftspolitik seiner Eltern, darunter auch die Toleranzpolitik den Juden gegenüber, fort. In seine lange Regierungszeit fallen der Bau einer neuen Stadtmauer (Akzise-Mauer) und die Anlegung der Kavalierstraße als repräsentative Prachtstraße. An der Peripherie wuchsen weitere Stadtteile (die Wasserstadt), Vorwerke und Ansiedlungen (Kochstedt, Alten) empor. Zum Schutz vor den Hochwassern der Elbe und Mulde wurden umfangreiche Meliorations- und Deichbauarbeiten durchgeführt. Die Elbe erhielt 1739 wieder eine feste (hölzerne) Brücke. Auch der Neubau der barocken Georgenkirche fällt in diese Epoche. Im Schlossbereich wurde der Nordflügel abgebrochen, wodurch sich die Schlossanlage zur Stadt hin öffnete. In Schlossnähe wurden die Neue Kanzlei (später: Hofkammer) und ein neuer Marstall errichtet. Leopolds Söhne Dietrich (1702–1769), Eugen (1705–1781) und Moritz (1712–1760) erhielten repräsentative Stadtpalais in der Kavalierstraße und Zerbster Straße („Palais Dietrich“ Zerbster Straße 35, heute: Anhaltische Landesbücherei Dessau, Wissenschaftliche Bibliothek). Für Leopolds Tochter Anna Wilhelmine (1715–1780) wurde ab 1752 in Mosigkau bei Dessau ein Rokokoschloss erbaut. Während Leopolds häufiger Abwesenheit zu Militärdiensten lenkte seine Gemahlin, die aus einer Apothekerfamilie stammende Anna Luise (1677–1745), die Regierungsgeschäfte. Ein bronzenes Denkmal für Leopold I. (nach dem Berliner Original von Johann Gottfried Schadow) wurde 1860 auf dem Schlossplatz aufgestellt, musste in DDR-Zeiten nach Schloss Mosigkau ausweichen, um 1988 wiederum an seinen Stammplatz zurückzukehren.
Leopold-Dank-Stiftung 1749
In die nur kurze Regierungszeit von Leopold Maximilian von Anhalt-Dessau (1700–1751), dem ältesten Sohn von Leopold I., fallen Erneuerungen im Schlossbereich und die Gründung der Leopold-Dank-Stiftung für Kriegsinvaliden 1749. Das ehemalige, 1750 eingeweihte Stiftsgebäude ist heute Sitz des Museums für Naturkunde und Vorgeschichte.
Fürst Franz ab 1758: Reformen, Gartenreich, klassizistische Architektur
Ungleich stärker wurde die Stadt durch die 1758 beginnende, fast 50 Jahre währende Regierungszeit des Fürsten (ab 1807: Herzog) Leopold Friedrich Franz (1740–1817) verändert. Wie seine Vorgänger behielt sich auch Fürst Franz alle wichtigen Entscheidungen über die Stadtentwicklung selbst vor. Seine von der Aufklärungsepoche inspirierten umfangreichen Reformen im Schul-, Gesundheits- und Armenwesen, in Landwirtschaft und Gartenbau, nicht zuletzt seine Bestrebungen zur „Landesverschönerung“ hinterließen tiefe Spuren. 1761 wurde in Dessau mit der Anlage einer neuen wichtigen Straßenachse, der Franzstraße, begonnen. Zwei Jahre später erschien die erste Ausgabe der „Fürstlich Anhalt-Dessauischen öffentlichen Nachrichten“ – der historische Beginn der Dessauer Presselandschaft. 1779 wurden Öl-Laternen als Straßenbeleuchtung eingeführt 1856 wurden sie durch Gaslaternen ersetzt). 1796/97 erfolgte ein Neubau der Brücke über die Mulde. In Wörlitz bei Dessau entstand seit den 1760er Jahren eine der ersten, bald weithin bekannten englischen Gartenanlagen auf dem Kontinent. Später kamen die Parkanlagen und klassizistischen Schlossbauten im Luisium (für Franz‘ Gemahlin, die Fürstin Louise aus dem Hause Brandenburg-Schwedt) und Georgium (als Sommersitz von Franz‘ jüngerem Bruder Johann Georg) hinzu. Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736–1800), der Baumeister und Freund des Fürsten, schuf neben diesen klassizistischen Kleinodien auch markante Stadtbauten wie das Haus Olberg in der Franzstraße 1764 und das Palais für Franz Graf von Waldersee 1792/93 (heute: Anhaltische Landesbücherei, Hauptbibliothek, Zerbster Straße 10). Auch der 1787 angelegte neue Begräbnisplatz (Historischer Friedhof an der Chaponstraße) trägt Erdmannsdorffs Handschrift. Der Landschaftsgarten Großkühnau bei Dessau entstand ab 1805 auf Geheiß des Erbprinzen Friedrich (1769–1814), des früh verstorbenen Sohnes des Fürsten Franz und seiner Gemahlin Louise von Brandenburg-Schwedt (1750–1811).
Philanthropinum 1774, Theatergebäude 1799, Kunst- und Literaturverlage
Neben Architektur und Gartenbau erlebten auch andere Künste, die Wissenschaften und das Kulturleben insgesamt eine Blütezeit. Im Jahre 1771 holte Fürst Franz den Reformpädagogen Johann Bernhard Basedow (1724–1790) nach Dessau, der hier seine bahnbrechende Erziehungsanstalt Philanthropinum (1774 bis 1793) gründen konnte. Das städtische Musikleben wurde durch die Konzerte und Kompositionen des Hofkapellmeisters Friedrich Wilhelm Rust (1739–1796) weit über die Region hinaus bekannt. Nachdem 1794 die Bossansche Schauspielergesellschaft in Dessau ihren ständigen Sitz genommen hatte, entwickelte sich hier ein reges Theaterleben. Christian Gottlob Neefe (1748–1798), Beethovens Bonner Klavierlehrer, war in seinen letzten Lebensjahren in Dessau Musikdirektor. Ludwig Devrient (1784–1832), Neefes Schwiegersohn, und andere bedeutende Schauspieler jener Epoche spielten auf der Dessauer Bühne. Ein von Erdmannsdorff 1799 geschaffenes Theatergebäude bot fast eintausend Besuchern Platz. Erdmannsdorf war auch der erste künstlerische Leiter der Chalkographischen Gesellschaft (1796–1810), die Kupferstecher und Maler von Rang wie Christian Haldenwang, Ludwig Buchhorn, Wilhelm Friedrich Schlotterbeck und Heinrich Theodor Wehle zusammenführte. Carl Wilhelm Kolbe (1759–1835) schuf in Dessau imposante Radierungen von Eichenbäumen und Landschaften. Unter den Dichtern jener Epoche ragte Friedrich Matthisson (1761–1831) hervor, der als Vorleser und Reisebegleiter in Diensten der Fürstin Louise stand. Der Hofbeamte August von Rode (1751–1837) erlangte als Übersetzer des Vitruv, Ovid, Apulejus und anderer antiker Autoren hohe Anerkennung. Die Allgemeine Buchhandlung der Gelehrten und Künstler (1781–85), ein genossenschaftlich organisierter Verlag, trat für größere Rechte der Autoren auf dem expandierenden Buchmarkt ein. Die Verlagszeitschrift „Berichte der Allgemeinen Buchhandlung der Gelehrten“ war ein wichtiges Diskussionsforum von Parteigängern der Aufklärungsbewegung.
Beginn jüdischer Reformbewegungen. Franzschule 1799
Nicht zuletzt war das damalige Dessau auch ein Zentrum der Aufklärung innerhalb des Judentums. Hier war 1729, als Sohn eines armen Lehrers und Schreibers, Moses Mendelssohn (1729–1786) geboren worden, einer der bekanntesten deutschsprachigen Schriftsteller und Philosophen jener Epoche. Von Mendelssohn und einem Kreis seiner Schüler ging eine Aufklärungs- und Reformbewegung aus, die das Judentum für eine moderne, vernunftgeleitete Kultur und Religion und für die Teilhabe an der christlichen Umwelt öffnen wollte. Die 1799 begründete Dessauer jüdische Freischule, die „Franzschule“ und die von Schuldirektor David Fränkel (1779–1865) herausgegebene reformjüdische Zeitschrift „Sulamith“ (1806–1848) waren wichtige Adressen dieser folgenreichen kulturellen Bewegung.
Napoleon. Befreiungskämpfe. Dessauer Liedertafel. Musikschule. Elbmusikfeste
In der Napoleonischen Ära wurde auch Dessau in die zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen hineingezogen. Flüchtende preußische Truppen brannten nach der verlorenen Schlacht von Jena und Auerstedt (1806) die Elbbrücke nieder; den Kanonendonner der Schlacht hatte man noch in Dessau hören können. Französisches Heer quartierte sich ein und plünderte. Napoleon Bonaparte selbst weilte zweimal in der Stadt. Das Fürstentum Anhalt-Dessau musste dem Rheinbund beitreten und Truppen für Napoleons Armeen stellen. Im Mai 1809 nahm der antinapoleonische Kämpfer Ferdinand von Schill mit seinem Husarenregiment in der Stadt Quartier; Schills patriotischer Aufruf „An die Deutschen“ wurde hier gedruckt. Unter den Teilnehmern der antinapoleonischen Befreiungskämpfe befand sich auch ein Dessauer Jüngling, der wenig später als populärer, freiheitlich gestimmter Volksdichter gefeiert wurde: Wilhelm Müller (1794–1827), der Sohn eines Schneidermeisters, in seiner Vaterstadt Dessau als Bibliothekar und Gymnasiallehrer angestellt. Müllersche Verse wie „Das Wandern ist des Müllers Lust“, „Am Brunnen vor dem Tore“, „Im Krug zum grünen Kranze“ wurden mehrfach vertont und werden noch heute gesungen. Gemeinsam mit Hofkapellmeister Friedrich Schneider (1786–1853) gründete Müller die Dessauer Liedertafel – ein Höhepunkt in der langen Tradition des städtischen Chorgesanges. Friedrich Schneider verdankt die Stadt auch ihre erste Musikschule und mehrere, viele mitteldeutsche Chöre zusammenführende Elbmusikfeste.
Neue Bauten: Bahnhof 1839, Leopoldskaserne, Kirchen, Stadterweiterung nach Norden
Herzog Leopold Friedrich von Anhalt-Dessau (1794–1871), der Enkel und Nachfolger des Fürsten Franz, regierte länger als ein halbes Jahrhundert. Bei seinem Regierungsantritt 1817 hatte Dessau etwa 9.000 Einwohner, als er 1871 starb, waren es 17.500 Einwohner. Im Stadtbild kamen neue markante Bauten hinzu: das erste Bahnhofsgebäude 1839, die Orangerie im Küchengarten des Schlosses 1844, der 40 m hohe Turm des Leopolddankstifts 1847, die ab 1852 an der Akenschen Straße (heute: Ferdinand von Schill-Straße) erbaute große Kaserne (ab 1898: „Leopoldskaserne“), die in neugotischen Formen gehaltene katholische Kirche 1854/57 (Entwurf von Vincenz Statz), das klassizistische Palais des Prinzen Georg Bernhard in der Kavalierstraße (später: Palais Reina), die neuromanische Kirche im nahe gelegenen Großkühnau 1830. Das Dessauer Rathaus erhielt 1827/28 einen neuen Nordgiebel mit neugotischem Zinnenaufbau. Schon 1818/22 bekam das Herzogliche Hoftheater ein neues Vorderhaus mit Konzertsaal und eindrucksvoller, von sechs mächtigen korinthischen Säulen dominierter Vorhalle; nach einem Brand im Jahr 1855 wurde der Theaterbau aufwändig erneuert. Mit Anlegung der Johannisstraße, der Akenschen Straße und der Leopoldstraße dehnte sich das Stadtgebiet weiter nach Norden aus.
Neue Städteordnung 1831. Staatsministerium. Sparkasse
Eine neue Städteordnung löste 1831 die überkommene Ratsverfassung ab. Die Bürgergemeinde konnte jetzt Stadtverordnete als ihre Interessenvertreter wählen. Der Herzog behielt jedoch das Recht der Oberaufsicht in allen kommunalen Angelegenheiten. In der Zeit der demokratischen Erhebung von 1848 musste Herzog Leopold Friedrich seinen Regierungspräsidenten Leopold von Morgenstern (1790–1864) entlassen. Es wurde ein liberales Staatsministerium unter der Leitung von August Köppe (1818–1888) und August Habicht (1805–1896) eingesetzt. Die Machtposition des obersten Landesherrn und Stadtherrn blieb letztlich unangetastet. Mit Franz Medicus (1820–1884) wurde 1852, in einer Phase der politischen Restauration, der Wunschkandidat des Herzogs zum Dessauer Bürgermeister (ab 1864: Oberbürgermeister) gewählt. In Medicus‘ lange Amtszeit – bis 1884 – fallen die territoriale Erweiterung der Stadt durch Übernahme großer Acker- und Wiesenflächen, die Gründung der Stadtsparkasse 1865 und die Einrichtung eines städtischen Leihamtes.
Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums Anhalt
Nach dem Aussterben der Bernburger Linie des Hauses Anhalt 1863 und der Wiedervereinigung aller anhaltischen Territorien 1865 konnte Leopold Friedrich sich nun stolz Herzog von Anhalt nennen. Dessau war jetzt die Haupt- und Residenzstadt des gesamten Herzogtums. Der Herzog förderte Künstler wie den durch seine Gipsmedaillons bedeutenden Franz Woltreck (1800–1847) und den Maler Johann Heinrich Beck (1788–1875). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts feierten Richard Wagners Opern im Herzoglichen Hoftheater unter Musikdirektor Eduard Thiele (1812–1895) Triumphe. Wagner selbst war 1835 und 1872 in Dessau, das damals als „Bayreuth des Nordens“ galt. Unter den Dessauer Naturforschern jener Jahre ragt der Apotheker Samuel Heinrich Schwabe (1789–1875) hervor, der als Astronom (Entdeckung der Sonnenfleckenperiodizität) und Botaniker Bedeutendes leistete. Sehr bekannt war auch die Gymnastische Akademie von Adolf Werner (1794–1866), eine der ersten gymnastischen Ausbildungs- und Heilstätten in Deutschland.
Natur- und Landschaftsschutz
Der als Naturfreund bekannte Herzog Leopold Friedrich sorgte sich auch um den Schutz der Solitäreichen und anderer Naturdenkmäler des anhaltischen Landes. Das Anhaltische Polizeistrafgesetz von 1855 verbot das Fangen und Töten des Elbebibers und legte damit den Grundstein für den Erhalt dieser Tierart. Viele Dessauer erfreuten sich an der ausgedehnten und markanten Naturlandschaft, die ihre Stadt umgab. Der Pädagoge Gustav Rasmus (1817–1900) dichtete damals:
„Mein Vaterland ist ein grünes Land,
Ein grünes Eichenland,
Denn Wald und Au und der Flüsse Strand
Ist wie ein grünes Band.“
Technische Moderne: Elbbrücke 1836, Eisenbahnbau, Wallwitzhafen, Telegraphie 1850
Davon unbeirrt hielt die Moderne mit ihren technischen Segnungen, ihrem zuvor unbekannten Tempo und den damit verbundenen neuen Herausforderungen und Gefährdungen für Mensch und Umwelt auch in Dessau Einzug. Die 1806 zerstörte Elbbrücke wurde 1835/36 neu erbaut, wodurch die in der Zwischenzeit bestehende, umständliche Fährverbindung endlich überflüssig wurde. Die Gebiete jenseits der Elbe waren nun deutlich leichter erreichbar. Mit Errichtung der Eisenbahnverbindung von Berlin (Anhalter Bahnhof) nach Köthen 1839/40 beginnend, war Dessau bald auch per Schiene mit seiner Umgebung verbunden. Der erste Zug aus Berlin traf am Mittag des 10. September 1841 in Dessau ein. Die ebenfalls sehr wichtige Bahnverbindung von Dessau über Bitterfeld nach Leipzig wurde 1857/59 fertiggestellt. Nicht zuletzt siedelten sich viele neue Wirtschaftsunternehmen in unmittelbarer Nachbarschaft der Eisenbahnlinie an. Auch der in den 1860er Jahren ausgebaute Wallwitzhafen am Elbufer besaß eine eigene Bahnverbindung und entwickelte sich zu einem wichtigen mitteldeutschen Umschlagplatz zwischen Eisenbahn und Elbeschifffahrt. Im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau breitete sich die elektro-magnetische Telegraphie als neues Kommunikationsmittel aus. 1850 wurde im Dessauer Bahnhofsgebäude der erste Telegraph „für den Privatverkehr des Publikums“ eröffnet.
Industrialisierung, Bankwesen
Zunächst langsam, nach 1871 dann sehr beschleunigt hielt das Industriezeitalter in Dessau Einzug. Die bahnbrechende Dampfmaschine wurde zuerst in Unternehmen der Textilbranche und des Maschinenbaus sowie in Bierbrauereien eingesetzt. Der Pädagoge und Regionalhistoriker Heinrich Lindner schaute mit vorsichtigem Optimismus auf dieses anbrechende Fabrikzeitalter: „Es läßt sich nicht leugnen, daß sich Deßau vortrefflich zu einer Fabrikstadt eignet, und es ist sehr zu wünschen, daß die Aussichten, welche sich in dieser Hinsicht in der letzten Zeit eröffnet haben, nicht täuschend gewesen sein mögen.“ (Geschichte und Beschreibung des Landes Anhalt, 1833). Vor allem die 1855 durch [Hans Victor von Unruh (1806–1886]](/chronik/biografien/unruh-hans-victor) gegründete, im Bereich des Gasproduktion und Gasnutzung wegbereitende Deutsche-Continental-Gas-Gesellschaft (DCGG) entwickelte sich schnell zu einem überregional bedeutenden Unternehmen. Zur Finanzierung der zahlreicher und kapitalintensiver werdenden Industrien wurden 1847 die Anhalt-Dessauische Landesbank und 1856 die Kreditanstalt für Industrie und Handel gegründet. Daneben gab es die bedeutende Privatbank von [Moritz von Cohn (1812–1900]](/chronik/biografien/cohn-moritz-von), dessen Vater Itzig Hirsch Cohn (1777–1863) im Jahre 1833 mit der Verwaltung der ersten Sparkasse, der Anhalt-Dessauischen Landessparkasse, betraut worden war. Moritz von Cohn war Bankier des preußischen Kronprinzen Wilhelm bzw. ab 1871 deutschen Kaisers Wilhelm I. Auch das 1840 gegründete Bankhaus Sonnenthal erlangte über die Stadt hinausreichende Bedeutung.
Als 1871 das Deutsche Kaiserreich proklamiert wurde, war Dessau die Hauptstadt eines zwar kleinen, aber wirtschaftlich, politisch und kulturell selbstbewussten deutschen Bundesstaates. Der Herzog hatte Sitz und Stimme im Bundesrat. Die Stadt war recht wohlhabend und glaubte für das jetzt mit Macht hereinbrechende Industriezeitalter gut gerüstet zu sein. Die großen Krisen des 20. Jahrhunderts waren noch in weiter Ferne.
- Dessau von der urkundlichen Ersterwähnung bis 1871
- 1871 bis 1918
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