1989
Auch in Dessau macht sich die Müdigkeit der Bevölkerung an den propagandistischen Durchhalteparolen der SED bemerkbar. Viele haben das Land bereits verlassen oder sind seit dem Sommer über Ungarn oder die CSSR auf dem Weg in den Westen oder haben einen Ausreiseantrag gestellt. Oppositionelle Gruppen formieren sich. In der IG Stadtgestaltung: junge Menschen finden sich zusammen, die ein Umdenken in der sozialistischen Stadtplanung, in der die Sanierung von Altbausubstanz keinen Platz findet, fordern. Das Neue Forum wird gegründet, später die Sozialdemokratische Partei (SDP, später SPD), und andere politische Gruppierungen formieren sich. Auch die Umweltbewegung, die auf die dramatischen Umweltbelastungen in der gesamten DDR hinweist, schafft sich zunehmend Gehör. Da in Dessau noch keine Demonstrationen stattfinden, fahren viele Dessauer zu den Montags-Demonstrationen nach Leipzig, nehmen dort an den Gebeten um Erneuerung in Leipziger Kirchen, vor allem in der Nikolaikirche, teil und reihen sich in die anwachsenden Demonstrationszüge ein.
- 7. Oktober
- Der 40. Jahrestag der DDR wird mit einer „Festveranstaltung“ im Landestheater feierlich begangen.
- 18. Oktober
- Erzwungener Rücktritt Erich Honeckers als Generalsekretär des Politbüros der SED. Nachfolger: Egon Krenz.
- 20. Oktober
- Mit dem ersten Gebet um Erneuerung in der Johanniskirche beginnt auch in Dessau die „Wende“. 3.000 Dessauer kommen in die Johanniskirche, davon finden 2.000 in der Kirche Platz, ca. 1.000 stehen außerhalb des Gotteshauses. Kreisoberpfarrer Alfred Radeloff predigt.
- 27. Oktober
- Nach dem zweiten Gebet um Erneuerung in der Johanniskirche und in der Petruskirche findet eine Demonstration von mehr als 15.000 Dessauern statt. In den vergangenen Tagen wurde dazu auf Flugblätter aufgerufen, die von Mitarbeitern der Verkehrsbetriebe, darunter Rainer Rothe, in Bussen des Stadtverkehrs ausgelegt wurden. Kreisoberpfarrer Radeloff lädt zum Gespräch in die Johanniskirche ein, 1.600 Menschen nahmen teil.
- 3. November
- Dem ditten Gebet um Erneuerung – diesmal in vier Dessauer Kirchen – schließt sich die größte Demonstration in Dessaus Geschichte an. Die Zahl der Demonstranten wird auf 50.000 bis 70.000 geschätzt.
- 4. bis 9. November
- II. Internationales Walter-Gropius-Seminar: Innenstadterneuerung am Beispiel der Bauhausstadt Dessau – die Idee „Industrielles Gartenreich“ entsteht
- 9. November
- Öffnung der Grenzen zur Bundesrepublik und nach West-Berlin
- 10. November
- Die Dessauer SED-Zeitung „Freiheit“ veröffentlicht erstmals Daten zur Umweltbelastung.
- Viertes Gebet um Erneuerung in drei evangelischen Kirchen, an dem ca. 4.500 Menschen teilnahmen. Die Hauptakteure des anschließenden Demonstrationszuges waren die Dessauer Busfahrer. An der Gedenkstele an dem Ort der 1938 zerstörten Synagoge wurden Blumen niedergelegt. Prof. Dr. Rolf Kuhn moderiert den Dialog auf dem Marktplatz. Der maßgebliche das DDR-Regime in Dessau verkörpernde Funktionär, der Erste Sekretär der SED-Kreisleitung Ingo Kurtz, trat zurück.
17. November Fünftes Gebet um Erneuerung in Dessau mit ca. 2.000 Teilnehmern. Mit jeder Woche nimmt die Teilnehmerzahl an der anschließenden Demonstration ab, ein Schweigemarsch mit ca. 3.000 bis 4.000 Teilnehmern, ab – Auswirkung der Reisewelle gen Westen. 1.500 Menschen nahmen anschließend an einem „Dialog“ in der Johanniskirche teil.
- 24. November
- Sechstes Gebet in vier Dessauer Kirchen mit ca. 2.000 Teilnehmern. Nach der Freitags-Demonstration finden sich 1.000 Demonstranten in der Johanniskirche ein.
- 30. November
- In Dessau wird die Nationale Front aufgelöst. Die Nationale Front der Deutschen Demokratischen Republik (bis 1973 Nationale Front des demokratischen Deutschland) war ein Zusammenschluss der Parteien und Massenorganisationen in der DDR.
- 3. Dezember
- Rücktritt der gesamten SED-Führung (Zentralkomitee und Politbüro)
- 5. Dezember
- Um 19.00 Uhr tagt in Dessau der 1. Runde Tisch aus Vertretern der Parteien SED, LDPD, NDPD, CDU und DBD sowie des DFD, FDGB, SDP (später SPD), des Neuen Forums sowie Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche. Später folgten auch DSU, FDP, Grüne Partei und Demokratischer Aufbruch.
- 7. Dezember
- Das frühere Kreisamt für Staatssicherheit in der Parkstraße, jetzt Kreisamtes für Nationale Sicherheit, wird auf Weisung des Ministeriums des Innern vor öffentlichem Zugriff gesichert, sodass umfangreiche Vernichtungen von Akten möglich waren. Das Kreisamt stellt seine Arbeit ein und wird zum Jahresende aufgelöst. Das Gebäude wird am 1. Januar 1990 dem Gesundheitswesen übergeben.
- 18. Dezember
- Die ehemalige „Sonderschule der SED-Bezirksleitung“ (im Schwarzen Weg) wird in ein Altenheim umgewandelt und die ersten älteren Dessauer ziehen ein.