Fritz Hesse
Rechtsanwalt, Bürgermeister, später Oberbürgermeister von Dessau. Mitglied der Verfassungsgebenden Nationalversammlung in Weimar und der Konstituierenden Landesversammlung von Anhalt, Mitglied des Anhaltischen Landtages. Zweiter Vizepräsident des Regierungsbezirkes Dessau. Geb. 13.2.1881 in Dessau, gest. 30.4.1973 in Bad Neuenahr.
Fritz Hesse wurde als Sohn des Bankbeamten Leopold Hesse geboren. Nach Vorschule und Besuch des Dessauer Friedrich-Gymnasiums (Abitur 1899) folgte das Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Jena, Berlin und Halle. Er verfolgte zunächst eine juristische Laufbahn und legte 1907 die große Staatsprüfung vor dem Berliner Kammergericht ab. Danach ließ er sich als Rechtsanwalt in Dessau nieder.
Fritz Hesse gehörte im Oktober 1908 zu den Mitbegründern des „Demokratischen Vereins“ in Berlin und trat am 4. November d. J. erstmals im Tivoli in Dessau als politischer Redner auf. Er wurde im November 1910 zum Stadtverordneten und nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 10. August 1914 für die Dauer des Krieges zum Kriegsstadtrat gewählt. Fritz Hesse wurde am 24. Januar 1918 zum Bürgermeister von Dessau gewählt, 1929 zum Oberbürgermeister ernannt. Am 9. November 1918 griffen die von Kiel ausgehenden revolutionären Unruhen auch auf Dessau über. Um mögliche Gefahren abzuwenden, übernahm Fritz Hesse den Vorsitz eines gewählten Arbeiter- und Soldatenrates, übergab die Leitung jedoch am nächsten Tag an den Sozialdemokraten Richard Paulick.
Im Dezember 1918 war Fritz Hesse Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Er wurde für die DDP am 15. Dezember 1918 zunächst in die Konstituierende Landesversammlung Anhalts gewählt, die eine republikanische Verfassung für das Land Anhalt erarbeitete. Von 1921 bis 1924 war Fritz Hesse Abgeordneter des Anhaltischen Landtags, erneut 1926 bis 1928. Am 19. Januar 1919 wurde er als Abgeordneter der DDP in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. An der Spitze der Dessauer Stadtverwaltung packte er die schwierigen Aufgaben mit großem Sachverstand und mutig an. Ein wirtschaftspolitischer Erfolg seiner Arbeit war, dass die Deutsche Reichsbahn 1923 im Süden der Stadt ein Ausbesserungswerk errichtete. In die Verhandlungen mit der Regierung des Deutschen Reiches wegen finanzieller Schwierigkeiten der Junkers-Betriebe konnte Fritz Hesse vermittelnd einwirken. Durch diese Betriebe hatte sich Dessau trotz krisenhafter Zeiten wirtschaftlich entwickelt; es kamen ständig Arbeitsuchende in die Stadt, wodurch ein großer Bedarf an Wohnungen entstand. Durch Förderung des Siedlungsgedankens und Erschließung neuen billigen Baulandes durch Eingemeindungen (1923 und 1930), versuchte Fritz Hesse, die Wohnungsnot in der Stadt zu lindern. Die Siedlung Hohe Lache gilt – nach der „Askania“-Siedlung (1913) – als ein weiteres Modellprojekt bei der Lösung der „Wohnungsfrage“. Fritz Hesse war maßgeblich verantwortlich für die Übernahme des in Weimar aufgelösten Bauhauses zum 1. April 1925. Der Von der Stadt finanzierte Neubau des Bauhausgebäudes an der damaligen Friedrich-Ebert-Allee wurde am 4. Dezember 1926 feierlich eröffnet. Fritz Hesse beförderte auch die Entstehung der Siedlung Dessau-Törten. Das Bauhaus wurde bald auch in Dessau eine Zielscheibe des konservativen Bürgertums und vor allem nach 1928 der Nationalsozialisten.
Bei den Kommunalwahlen im Oktober 1931 wurde die NSDAP stärkste Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung. Damit begannen die Einschränkungen seiner Wirkungsmöglichkeiten als Oberbürgermeister. Man stellte ihm zwei NSDAP-Stadträte „zur Seite“. Davon beeinträchtigt, trat er am 8. März 1933 von seinem Amt zurück. Im April 1933 wurde er in eine fünfwöchige Schutzhaft genommen. Die nationalsozialistischen Machthaber strengten ein Disziplinarverfahren gegen ihn an, vor allem wegen seines Einsatzes für die Übernahme des Bauhauses durch die Stadt Dessau. Zunächst ließ sich Fritz Hesse in Dessau erneut als Rechtsanwalt nieder, ging aber bald mit seiner Familie nach Berlin.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges baute er in Wandlitz die Verwaltung neu auf und kehrte am 24. Mai 1945 in seine zerstörte Heimatstadt Dessau zurück. Die amerikanische Militärverwaltung setzte Fritz Hesse am 2. Juli wieder als Oberbürgermeister ein. Die am 3. Juli einziehende sowjetische Militäradministration bestätigte ihn in diesem Amt. Im November 1945 wurde Fritz Hesse außerdem zum Zweiten Vizepräsidenten des Regierungsbezirkes Dessau ernannt. In dieser Zeit wurden wesentliche Planungen für die Überwindung der starken Kriegszerstörungen entwickelt im Hinblick auf Enttrümmerung, Wiederaufbau der Stadt, Krankenhausbau und Kulturentwicklung, v. a. für das Theater. Er berief den ehemaligen Bauhausstudenten Hubert Hoffmann zum Baurat. Ihre Planungen zur Wiedereinrichtung des Bauhauses in Dessau wurden nicht verwirklicht. Im Ergebnis der nicht als frei zu bezeichnenden Kommunalwahl am 6. September 1946 wurde die neu gebildete SED stärkste Partei. Kurz danach trat Fritz Hesse im Oktober 1946 zum zweiten Male von seinem geliebten Amt zurück. Er blieb noch Zweiter Vizepräsident des Regierungsbezirkes, bis auch diese Verwaltung durch die von der sowjetischen Besatzungsmacht unterstützten SED-Funktionären zum 30. Juni 1947 aufgelöst wurde. Bei den Landtagswahlen im Oktober 1946 wurde Fritz Hesse für die neu gebildete Liberaldemokratische Partei (LDP) in den Landtag von Sachsen-Anhalt gewählt. Angesichts der sich abzeichnenden politischen Entwicklung legte er 1948 sein Landtagsmandat nieder. Erneut arbeitete er als Rechtsanwalt in seiner Heimatstadt. Um von den neuen Machthabern vorbereiteten Repressalien zu entgehen, flüchtete er am 14. Oktober 1950 nach West-Berlin, wohin ihm drei Tage später seine Frau folgte. In Berlin arbeitete Fritz Hesse erneut als Rechtsanwalt, später verzog nach München. Bundespräsident Theodor Heuss verlieh ihm am 1. Februar 1956 das Bundesverdienstkreuz und erinnerte in seiner Rede auf das gemeinsame Wirken als demokratische Abgeordnete in der Weimarer Nationalversammlung 1919/20. In den Jahren 1963 und 1968 veröffentlichte Fritz Hesse im Selbstverlag seine Memoiren Erinnerungen an Dessau. Bd.1 / Von der Residenz- zur Bauhausstadt, Bd.2 / Aus den Jahren 1925 bis 1950, die sich als hervorragende Quelle für das Zeitgeschehen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erweisen. Nach dem Tod seiner geliebten Frau Luise, geb. Boelcke, zog Fritz Hesse in das Augustinum-Wohnstift Bad Neuenahr bei Bonn, wo er am 30. April 1973 verstarb. 1990 wurde die ehemalige Kaiserstraße (in der DDR zunächst Marx-Engels-Straße, dann Karl-Marx-Straße) nach ihm benannt. Die auf Beschluss des Stadtrates 2001 gestiftete höchste Auszeichnung der Stadt trägt seinen Namen: Fritz-Hesse-Medaille.
(GZ)
- Biografie Fritz Hesse (PDF)